Körperfluss
Körperfluss, was ist das? Nässende Stellen? Ich denke mal eher nicht. Auch wenn es sich teilweise eher esoterisch anhört, im Fluss zu sein, Körperfluss ist das bestimmende Element bei Tattoos. Ohne Verständnis ist es nicht möglich, auf Dauer stimmige Tattoos zu machen. Wobei das natürlich auch schon philosophisch ist. Nun, stelle dir einfach mal vor, du hast eine gerade Linie. Und diese gerade Linie lässt du auf deinen Körper legen. Dann wird diese Linie gerade sein. Einfach weil du weißt, dass es sich um eine gerade Linie handelt.
Perspektive
Nun, dann gehen wir mal weiter mit der Perspektive. Je nachdem, aus welchem Winkel der Betrachter etwas wahrnimmt entsteht eine Verschiebung. Bei technischen Instrumenten nennt man das einen Paralaxenfehler. Nun hat aber der Körper wenig mit Technik zu tun. Wennschon das wohl auf den ersten Blick so erscheinen mag, so ist es auf den zweiten Blick nicht ganz so. Denn hier kommt die Biomechanik ins Spiel. Oder ein wenig einfacher, der Körper in Bewegung. Schließlich ist der Körper eine Ansammlung funktioneller Einheiten, die ineinander übergehen und , da kommt wieder dieses Wort, fließen. Wenn man sich mal an den Bach um die Ecke setzt und dem Wasser zuschaut, wie es um und über Steine fließt, dann kann man ansatzweise eine Ahnung bekommen. Ähnlich verhält es sich mit dem Körperfluss.
Bewegung durch Zusammenspiel funktioneller Einheiten
Nun ist der Körper nichts statisches, es entsteht dauernd Bewegung durch Zusammenspiel funktioneller Einheiten. Es gibt da diesen Präparator, der mit seiner Ausstellung „Körperwelten“ Einblicke in die funktionellen Einheiten des Körper im wahrsten Sinne eröffnet. Selbst wenn man nicht auf so etwas stehen sollte (tatsächlich konnte ich mich nie hinreißen lassen, selbst einmal in eine dieser Ausstellungen zu gehen), so ist es auf jeden Fall klar, dass es einen Antrieb im Körper gibt. Dieser Antrieb ist, eigentlich klar, der Muskulatur geschuldet. Und die bewegt das Skelett. Auch klar soweit. Aber wie jeder weiß, der mal eine muskulöse Person sehen konnte, ist da nichts gerade. Überall sind Muskelbäuche, Sehnenplatten oder Sehnen selbst. Herausstehende Gelenke, Knochen. Und… .
Haut
Haut ist das, was allgemein als das größte Organ bekannt ist. In diesem Sinne ist die Haut das was all diese Bewegung mitmachen muss. Echt jetzt? Darauf wäre man ja fast nicht von alleine gekommen. Haut bewegt sich? Tut sie. Und das nicht nur in der Bewegung durch den Raum, sondern auch in der Bewegung durch die Zeit. In diesem Sinne ist die Haut das nach außen veränderlichste Element. Und hier kommen wir wieder zum Körperfluss. Welchen Sinn macht es, eine bewegliche Grundlage mit geraden Linien zu markieren? Wenn schon ein anderer Winkel bereits einen massiven Unterschied erweckt? Für eine Person, die 1,80 groß ist wird das Tattoo im Dekolleté einer 20 cm kleineren Person ganz anders aussehen, als für eine 2 Meter Person.
Beulen
Und, nicht das mir das bitte übel genommen wird: der Körper besteht halt an allen Ecken und Kanten genau nicht daraus, sondern aus Beulen. Dementsprechend ist es nur naheliegend, dass man versucht, diese Beulen zu nutzen. Jeder Muskelbauch (hier ist nicht die Rede von dem Sixpack, sondern von einem zusammengezogenen Muskel, der sich auswölbt) ergibt Wellen in einer geraden Linie. Wenn man Wellen möchte, dann sollte man keine geraden Linien machen und dann die Muskulatur betätigen. Sondern die Schwünge des Körpers ausnutzen. Denn diese Schwünge können eine Menge verraten, wie sich die Haut in späteren Jahren an dieser Stelle verändern wird. Letztendlich soll ein Tattoo ja über das restliche Leben begleitend sein. Nicht nur für den Moment.
Körperfluss im Wandel der Zeit
Auch das Verständnis vom Körperfluss ist dem Wandel der Zeit unterworfen. Wobei das eigentlich der falsche Ausdruck sein dürfte. Denn oftmals handelt es sich dabei nicht um Verständnis, sondern um Stile, die sich neu in die Körperkunst einbringen. Die meisten scheren sich tatsächlich nicht wirklich um den Körperfluss. Gegenteilig wird oftmals genau das Gegenteil angestrebt. Nämlich den Körperfluss zu ignorieren. Der einzige Knackpunkt ist eben, wenn es zu ungewollten Veränderungen kommen kann, wenn die Entwicklung nicht berücksichtigt worden sind. Und wenn es „nur “ Falten sind, die die Haut im Laufe der Zeit einfach aufwirft. Und das im wahrsten Sinne. Und dann haben wir wieder Wellen, in die Teile des Tattoos eintauchen und darin untergehen. Blöd bloß, wenn unter diesen Falten Hauptmotive sind, die nur noch durch seitliche Streckung zu sehen/fotografieren sind. Und in den Falten echt Geld steckt. Ob das dann mit Hüftgold gemeint ist? Zweifelhaft. Und dann kommt irgendein Vollhorst mit der Frage daher „Was machst du wenn du mal alt bist und deine Haut faltig und runzlig ist“? Dann hat man Farbe unter die Haut, die sich mit dem Körper verändert hat.